Sonntag, 15. Oktober 2017

Marathon


Marathon ...... mein Erster!

Es fühlt sich an wie 100‘000 Schritte, wie eine nicht enden wollende Mörder-Strecke, wie eine gleissend heisse Piste, wie unendlich lange Minuten und Stunden, wie überdimensionale Kilometer, wie absichtlich in die Länge gezogene Momente, wie zweimal um den Murtensee, wie von Spiez nach Bern, wie von Bern nach Zürich, wie von Basel nach Hamburg, wie von Barcelona nach Madrid, tja, eigentlich wie von Los Angeles all the way to San Francisco... oder von Sydney to Cairns.  




Die letzte Kurve dieses Laufs hab ich mindestens schon Hundert Mal gedanklich gemeistert, hab mir vorgestellt wie ich diese letzte breite Strasse hinunter renne, vorbei unter schattigen Bäumen, vorbei an klatschenden und motivierenden Zuschauern, vorbei an netten Bistros mit kühlem Bier und feinen Tapas, hinein in diese letzte Kurve, beschwingt vom Adrenalin, das extrem lang ersehnte Ziel vor Augen, einigermassen locker und trotz der Strapazen ein müdes aber glückliches Lächeln im Gesicht. Aber all das war nur ein Bild das man sich im Vorfeld macht. Man kann sich nicht vorstellen wie lange man nach dem Start auf dieses Bild warten muss bis es endlich da ist. So intensiv hab ich mir dieses Bild eingeprägt in all den Trainings der letzten 8 Monate, hab es quasi eingebrannt in mein Unterbewusstsein, dass eigentlich schon kurz nach dem Aufstehen heute früh um halb 6 nur dieses Bild zählte. Nun aber hab ich 4h darauf gewartet bis es endlich Realität wird. Schon 30 Min. nach dem Startschuss erwartete ich diese Kurve, nach 1h sehnte ich sie erstmals herbei, nach ca. 2h war sie plötzlich da, aber die Freude war nur von kurzer Dauer. Denn schnell war klar, dass es heute ZWEI Runden sein müssen. Das Bild der letzten Kurve war also nach 2h nur ein trügerisches, falsches Bild von kurzer Dauer. Schnell war die Kurve vorbei gerauscht und ich musste in die zweite Runde einbiegen.

Die Runden immer schön dem Meer entlang. Bisher dachte ich immer, das Ufer des Meers sei so was von flach, keine Steigung, alles nur gerade. Weit gefehlt. Irgendwie ist das eine optische Täuschung! Echt! Noch nie schien die Strecke, welche haargenau dem Meeresstrand folgte, sooo steil. Alles bisher nur optisch eine Täuschung für die Menschheit! Wir haben uns tatsächlich täuschen lassen von dieser Linie. Oder schaut auf euren nächsten Sonnenuntergangs-Fotos mal, wie schräg der Horizon ist. Eben, genau das ist diese Steigung des Meeres-Randes. Und bei einem langen Rennen wie heute mag man keine Steigung, KEINE!!

Im Vorfeld hatte ich auch diese hohe Hürde von 27km vor mir. Jedesmal im Training bin ich bei meinen 30km Läufen bei Km 27 gestorben. Man kann sich nicht vorstellen wie oft man einen solchen 27km-Tod qualvoll erleben kann/will/muss. Komisch; Paradox! Aber solange man einen Tod erleben kann, solange ist gut und solange gehts weiter im Leben, irgendwie. Deshalb heisst es ja erLeben!! Im Training hab ich mir als Hilfe dieses Tunnel ab km 26.5 vorgestellt. Ich wollte unter allen Umständen den 27km-Tod vermeiden, überspringen. Also war das Ziel kurz vor dem kritischen Punkt ins Tunnel abzutauchen und solange in schmerzfreien Raum zu bleiben bis eben zu dieser ultimativen Kurve. Genau das war mein von langer Hand vorbereitete Plan. Und wie oft im Leben muss man flexibel auf äussere Umstände reagieren und den Plan anpassen, aber es ist trotzdem vital, einen guten Plan zu haben, für vieles im Leben, vor allem für spezielle Herausforderungen.

Also - das Ziel-Kurven-Bild und der 27km-Tunnel .... es war ein guter Plan, aber gestorben bin ich trotzdem - halt erst bei Km 36....aber trotzdem - und Schmerzen tut es scheinbar immer, ein solches Experiment.

Was nach dem Tunnel und der ultimativen Kurve folgte - dafür gibt es keine Worte.

Mein letztes Rennen fand vor ca. 30 Jahren statt, als junger, explosiv Sprinter über 200 m und war nach ca. 22 Sek. vorbei. Kurze intensive schmerzfreie Rennen waren es damals. Heute, erstmals nach 30 Jahren wieder ein Rennen - und unvernünftigerweise grad 42km.  WAHNSINN!!

Wird man im Alter unvernünftig?

Egal - es war auf alle Fälle ein unbeschreibliches Erlebnis!



PS.: der Kilometer 27 war zu Gedenken an meinen Vater, es war seine Lieblingszahl. Auch er war ein Läufer.