Sonntag, 23. August 2020

Auch Regentropfen gehen auf Reise

Da sitzen zwei Regentropfen am Tau. Klammern sich fest, harren der Dinge die da noch kommen. Sind beide auf Reise. Wind. Wetter. Wellen. 


Immer noch klammern sie sich, wackeln bereits bedenklich. Werden immer grösser und schwerer, da immer neue Feuchtigkeit nachrutscht. Schauen sich etwas um, und auch weiter drüben an der Leine sitzen nun Kollegen. Regentropfen. Eine weite Reise haben diese beiden Regentropfen bereits hinter sich. Den ganzen Weg mit der Wolke übers Meer. Immer weiter, weiter nach oben, weiter nach Osten, immer zusammen in der eleganten weissen Wolke, weiter. Doch immer schwerer werden sie, die Wolke wird langsam grau, aber die Reise geht weiter bis die Wolke immer schwärzer wird, ja jetzt ist sie beinahe anthrazit. Dann plötzlich ein Blitz und dann ein Wolkenbruch, sie werden beide hinausgespült, weggeschleudert und stürzen nun gemeinsam in die Tiefe, ohne Seil, ohne Fallschirm. Grenzenlos scheint die Freiheit - freier Fall, plötzlich gibt es kein oben und unten, kein gut noch falsch, einfach nur der freie Fall. Die Reise nun nicht mehr so klar von der Wolke und vom Wind vorgegeben, nur noch das physikalische Gesetz der Anziehungskraft zieht sie nun nach unten. 
Irgendwie plumpsen sie nicht auf den knallharten Boden und werden auch nicht sofort ins Meer gespült. Wie ein wunderbarer Zufall kleben sie nun tatsächlich am selben Seil, irgendwo weit draussen auf der Ostsee und baumeln nun da, immer schön im Takt der Wellen und im Takt der Bewegung eines Schiffes, das auf den Wellen tanzt. Nur ein kurzer Zwischenhalt, ein Durchatmen. 
Doch eben, die Reise geht weiter - der eine Tropf wird grösser, der andere natürlich auch, immer mehr Feuchtigkeit rinnt nach. Bereits sind sie schon riesig und taumeln immer noch. Der eine will weg, will weiter nach unten, will in die Fluten des Meeres. Der andere wehrt sich noch, will eigentlich bleiben. Immer noch tanzen sie im Wind. Der eine ruft, dass er nun gehe, der andere ruft zurück - nein - bleib doch noch. Der Wind wird intensiver, der Kampf grösser. 
Dann - ein Ruck. Weg. Beide plumpsen sie nun direkt ins Meer. Von da an sind sie nicht mehr zusammen unterwegs. 

……… und hier im Meer beginnt nun die Reise von vorne, jeder für sich. Ein ewiger Kreislauf des Wassers. Verdunsten, Reisen, freier Fall, zurück ins Meer. Seit Jahrmilionen… und hoffentlich noch ganz viele weitere Jahre, bis zur Unendlichkeit. 
Reisen gehört also zur Natur. Gemeinsam Reisen, zusammen als kleine Regentropfen - eine wunderschöne Variante des Reisens. Vielleicht treffen sich die beiden Tropfen ja wieder auf der ewigen Reise durch die Zeit....

Da sitzen sie noch zusammen am Tau .... 
Da lassen sie los und stürzen in die Zukunft